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© Tages-Anzeiger; 2003-02-06; Seite 50

Ein Berserker entwickelt Benimm

Caveltys Literaturshow im «Moods» ist Kult. Literatur spielt keine Rolle, und der Biss bleibt behauptet. Lustig ists trotzdem.
Von Tobi Müller

Der Bündner Autor mit Jahrgang 1974 gehörte mal zur Gilde der Fräuleinwunder. Bleich, jung und schmal betrat er die wollüstige Drehbühne des Literaturbetriebs. Bald passten pennälerhaft und postpubertär zu Gion Mathias Cavelty wie knüppelhart zu Heavy Metal und Liebesbeweis zu Rebellion. Dieser Vergleich hat so wenig mit Dichtung zu tun wie Caveltys Werk selbst. Er drängt sich auf, weil das Fräuleinwunder versuchte, mit seiner Vorliebe fürs Triviale, fürs Schauerliche und für Heavy Metal den «bürgerlichen» Betrieb aufzuschrecken. Doch der belesene Bürger-Berserker Cavelty liebte die Literatur, diese aber nicht ihn. Den ödipalen Drive Caveltys hat der Betrieb nur nie erkannt.

Seit gut anderthalb Jahren moderiert der verstossene Dichter einen Comedytalk im Moods, lose im Abstand von zwei Monaten. Ironiegesättigt, aber sehr trocken und schön spröde, mit der tatsächlich knüppelharten Litterband und seit einiger Zeit mit der sprechenden Topfpflanze Marvin, der «Facts»-Redaktor Thomas Widmer hinter dem Vorhang die Stimme (und den Geist) leiht. Es gefällt dem Publikum, es kommt in Scharen. Es heisst Caveltys Literaturshow und schiesst noch immer hassgetränkte Liebespfeile gegen das dunkle Imperium der Literatur. Aber läck sind wir froh, dass es fast nichts mehr mit Literatur zu tun hat. Enter Cavelty, der Triviales trivial sein lässt.

Man könnte den Abend unter dem grossräumig vermiedenen Motto «Advent - ein Problem» auch klinisch beschreiben. Felix Hasler, Neuropharmakologe und erster Gast, dozierte mit überspannter Gelehrtenfrisur und viel Wille zur Komik über LSD. Ozeanische Selbstentgrenzung stellt sich ein, wenn der Trip gut einfährt, mit angstvoller Ich-Auflösung muss allerdings bei Fehlindikation gerechnet werden. Drogen blieben ein wichtiges wie dankbares Thema, und Selbstentgrenzung trifft das Gaudi recht genau, weil der Schriftsteller Cavelty sich erstaunlicherweise zurückhielt und vor allem den Impulsgeber gab. Wie sich das gehört eben.

Überhaupt fällt die Gesittetheit auf. Kaum vorstellbar, wie Silvio Blatter die erste Show noch wutentbrannt verlassen konnte. Heute kriegen alle, was versprochen wird, die Verabredungen sind seltsam intakt. Cavelty kündet Bettina Walch als schöne Frau an, die - ein Standard - jeweils die Seite 17 des letzten Werks der Geladenen vorliest. Genau dies geschieht dann auch, samt tadellosem Äusseren und verbesserter Sprechtechnik (Walch meisterte selbst die Formeln des Wisssenschaftlers). Und wenn die ehemalige Berner People-Journalistin und heutige Arztromanautorin Nicole Amrein («Diätschloss Steinberg») als solche eingeführt wird, ist der Gipfel der Bosheit bereits erreicht. Es folgten beinahe Zärtlichkeiten.

Vollends freundschaftlich verlief das Gespräch mit Beat Schlatter, der angesichts solcher Beisshemmung den hinlänglich bekannten Werdegang vom Punkschlagzeuger über den Ansager zum Komiker referierte. Als einer von zwei Höhepunkten muss aber sein Märchen von der breit behinterten Müllerstochter gewertet werden. Und als Marvin, die Topfpflanze, den Gewinner der Rubrik «Satz des Monats» philosophisch von Hegel bis Baudrillard kommentierte, trafen sich Bildung und Trash doch noch gütig. Der Satz von Ronny Rickli aus Niedergösgen ging so: «Laptops sind tragbare Pornokinos.»

Dass Marvin als LSD-Proband wenig Wirkung spürte, war die eigentliche Überraschung. Und Linus Reichlin soll als belgischer Rassist lustiger sein als die vorgestern etwas bemühten Saalwetten mit dem Ohrfiebermesser. Trotzdem, das Fräuleinwunder Cavelty hat sich selbstironisch entgrenzt und dabei etwas Fett angesetzt, das ihm weit besser steht als die angstvolle Ich-Auflösung des Bürgerschlägers.