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Aus dem Landboten, 28. März 2003

Ein Wetterfrosch entdeckt die Literatur

Ob Nähanleitung oder Neuschneedeskription - jeder Text hat seine eigene Poesie, lernt man in Gion Mathias Caveltys Literaturshow. Und erfährt, dass TV-Meteorologe Thomas Bucheli einen Roman schreiben will. 

von Peter Jankovsky

Obgleich noch nicht einmal dreissig, hat sein Name schon seit Jahren literarisches Gewicht: Der Bündner Gion Mathias Cavelty ist einer der Vorreiter gehobener "Ad-absurdum-Literatur". Das will besagen, dass er gegen den unsäglichen Pathos der Sinnvölle anschreibt, der auch in der modernen Literatur noch sein Unwesen treibt. Das heisst, Cavelty betreibt intellektuelle Demontage. Die hat er in seinem Buch "Endlich Nichtleser" (Suhrkamp 2000) zur Perfektion getrieben: Der Churer Absurdist berichtet über einen vom Lesen impotent gewordenen Mann, der eine Praxis zur Leseentwöhnung einrichtet; dabei holt Cavelty ganz nebenbei zu Seitenhieben auf real existierende Personen des Literaturbetriebs aus.

Inzwischen hat Cavelty eine weitere Betätigungsnische gefunden: die Literaturshow. Die geht normalerweise im Zürcher Jazzclub Moods über die Bühne, aber nicht letzten Dienstagabend: Da lud Cavelty zu einem Gastspiel ins Casino Winterthur, und die Winterthurer kamen zuhauf. Natürlich durfte auch eine Winterthurer Gast auf dem Talksofa Platz nehmen: Jolanda Schneider, ihres Zeichens Europameisterin im Teddybärdesign der Kategorie "unbekleidet". Vor dem Talk trug aber Caveltys Rezitatorin, Ex-Wetterfee und Radiomoderatorin Bettina Walch, einen besonderen Text von Schneider vor: die Seite 17 aus der Anleitung, wie man einen Teddybären zusammennäht. Weil nun Walch als professionelle Sprecherin Spannungsbögen so wundervoll zu intonieren vermag, erklang der an sich schnöde Text in ungewohnt belletristisch-sadistischen Tönen - alles bloss eine Frage der richtigen Betonung. Um einiges schräger ging's mit einem weiteren Sofagast, dem Neuropharmakologen Felix Hasler, zu und her. Die Rezitation der Seite 17 aus Haslers Dissertation liess es schon erahnen: ein einziger breiter Stream of Consciousness psychedelischer Moleküle. Hasler, der durch seine elektrisierte Frisur auffiel, wirkte verdächtig angeregt - vor allem als er über seine Selbstbetäubungsversuche mit LSD berichtete. Und für eine zusätzliche Betäubungssteigerung sorgte Caveltys Live-Band mit ohrenbetäubenden Heavy-Metal-Einlagen. Übrigens war Caveltys Showverhalten interessant: Er blickte stets todernst-scheu drein, redete wenig und sehr trocken - so trafen seine verbalen Nadelstiche immer ins Schwarze. Und dies in schönem Kontrast zu Marvin, der sprechenden Topfpflanze, die üppigsten Unsinn daherplapperte.

Beinahe eine Unio mystica

Doch es fanden nicht nur Sinndemontagen statt: Die Einladung von TV-Wetterfrosch Thomas Bucheli beispielsweise hatte zur Folge, dass sich dieser eingehend mit Belletristischem beschäftigte. So präsentierte Bucheli unter anderem einen Schmöker mit dem vielsagenden Titel "Chaos an der Costa Brava" und zeigte auf, wie oft doch Literatur auf Wetterbeschreibungen zurückgreift, um Stimmung zu erzeugen. Sehr erhebend war auch die Seite 17 aus Buchelis Magisterarbeit (oder war's die Diss?) über die "Neuschneedichte von 1705", wo empirisch Schnee- und Zeitdeskriptionen beinah eine Unio mystica heraufbeschwörten. Von der Neuschneedichte zum Neuschneedichter war's das wirklich nicht mehr weit.

Buchelis Auftritt geriet zum Höhepunkt des Abends. Denn der Schweiz bekanntester Wetterfrosch hat eine bescheiden-unverfälschte Art, die einfach bestach - und Cavelty ausstach. Und wie berührend war doch ein intimes Geständnis Buchelis: Weil er am Rande einer Kiesgrube aufgewachsen sei, trage er sich dank dem heutigen Auftritt ganz ernsthaft mit dem Gedanken, einen Roman zu schreiben. Der Arbeitstitel laute "Der Geist in der Kiesgrube". Das war wohl die konstruktivste Wirkung von Caveltys Show: Dass Wetterfrösche aktiv die Literatur entdecken.